Veranstaltung: | 48. Landesdelegiertenkonferenz in Neukieritzsch |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | TOP 12 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Bildung (dort beschlossen am: 10.02.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 28.02.2018, 14:38 |
V02: Arbeitsbedingungen verbessern, Attraktivität erhöhen, Spielräume ausweiten. Der GRÜNE 7-Punkte-Plan für genügend qualifizierte Lehrkräfte an allen sächsischen Schulen
Antragstext
Die unzureichende Anzahl qualifizierter Lehrkräfte ist derzeit das größte
Problem des sächsischen Schulsystems. Allein im kommenden Schuljahr werden knapp
2.000 neue Lehrkräfte benötigt, in den nächsten zehn Jahren werden jährlich
mindestens 1.300 Lehrkräfte aus dem Schuldienst ausscheiden. Bei der Besetzung
der Stellen hat das Kultusministerium erhebliche Schwierigkeiten. Nur der
kleinere Teil der Stellen kann mit grundständig ausgebildeten
Lehramtsabsolventen besetzt werden. An vielen Schulen kann die
Unterrichtsversorgung nicht vollständig gewährleistet werden. Diese prekäre
Situation ist auf jahrelanges systematisches Versagen der CDU-geführten
Landesregierungen zurückzuführen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben seit Jahren von
der frühzeitigen Aufstockung und Reform der Lehramtsausbildung bis zur gleichen
Vergütung von Lehrkräften vielfach konkrete Vorschläge unterbreitet, um diese
akute Problemlage zu verhindern. Bis heute reagiert die Staatsregierung entweder
zu zögerlich und unzureichend oder mit den falschen Maßnahmen. Bestes Beispiel
dafür ist die einseitige Konzentration der Diskussion auf die Verbeamtung von
Lehrkräften. Dabei ist offensichtlich, dass es nicht mit einer einzigen
'Königslösung', sondern nur mit einem Bündel an Maßnahmen gelingen kann,
genügend qualifizierte Lehrkräfte zu gewinnen. Die sächsischen Schulen werden
nur dann attraktiv für neue und bestehende Lehrkräfte sein, wenn das Schulsystem
insgesamt offener, flexibler und gerechter wird.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterbreiten mit folgendem 7-Punkte-Plan ein
Maßnahmenpaket, das umfassend und zielgenau für genügend qualifizierte
Lehrkräfte an sächsischen Schulen sorgen kann. Wir fordern:
1. Lehrkräfte fair bezahlen
Eine zentrale Ursache für die mangelnde Attraktivität der sächsischen Schulen
für Lehramtsabsolventen liegt in der unzureichenden und unterschiedlichen
Vergütung der Lehrkräfte. Die Einstiegsgehälter an sächsischen Schulen liegen im
Schnitt ca. 500.00 EUR (netto) unter der Vergütung in anderen Bundesländern.
Verglichen mit Berlin als dem einzigen Bundesland neben Sachsen, das nicht
verbeamtet, zahlt Sachsen über 1000,00 EUR (brutto) weniger. Mit dieser
Vergütungspraxis ist Sachsen nicht konkurrenzfähig.
Hinzu kommt, dass Lehrkräfte an sächsischen Schulen je nach Schulart
unterschiedlich bezahlt werden. Insbesondere Grund- und Förderschulen sind
dadurch deutlich unattraktiver als Gymnasien. Wir wollen eine faire und gleiche
Bezahlung aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulart. Die Verbeamtung von
Lehrkräften kann für einen begrenzten Zeitraum eine Lösung sein. Sie darf dabei
nicht zu neuen Ungleichheiten in den Lehrerzimmern sorgen, sondern muss von
einer fairen Vergütung aller Lehrkräfte begleitet werden. Der entscheidende
Schlüssel ist nicht die Verbeamtung, sondern die angemessene Vergütung der
Lehrkräfte. Deshalb wollen wir:
- einen eigenen sächsischen Tarifvertrag für alle Lehrkräfte
- eine schulartunabhängig einheitliche Vergütung aller sächsischen
Lehrkräfte in der Entgeltgruppe 13 TV-L
- die Vergütung für neu eingestellte Lehrkräfte auf ein bundesweit
konkurrenzfähiges Niveau anheben
- die Spielräume bundestariflicher Regelungen für eine faire Vergütung von
Mehrarbeit ausschöpfen
- eine Besoldung verbeamter Lehrkräfte, die sich an der Vergütung der
angestellten Lehrkräfte orientiert (Ausgleich der Nettolohnlücke)
2. Vollzeitpotentiale ausschöpfen, Arbeitszeitsouveränität stärken
Neben der finanziellen Entlohung spielt der Faktor Arbeitszeit eine
entscheidende Rolle bei der Gewinnung von Lehrkräften. Mit etwa ein Drittel
Teilzeitbeschäftigten gibt es ein großes Stellenpotential, das bisher
unzureichend genutzt wurde. Neben privaten Gründen spielt insbesondere die hohe
Arbeitsbelastung und die geringe Arbeitszeitsouveränität der Lehrkräfte eine
Rolle. Wir wollen die Spielräume für die Ausschöpfung des Arbeitszeitpotentials
nutzen, in dem wir die Lehrkräfte an sächsischen Schulen entlasten und mehr
Flexibilität im Umgang mit ihrer Arbeitszeit geben. Schulen sollen sich so
organisieren, dass sie den Zeitbedürfnissen ihrer Lehrkräfte entgegenkommen
können und nicht umgekehrt. Wir wollen:
- das Recht auf präsenzfreie Tage für Vollzeitbeschäftigte im Rahmen des
schulartspezifischen Stundendeputats verankern
- Lebensarbeitszeitkonten einführen, die z.B. zeitlich begrenzte Teilzeit
oder ein Sabbatjahr bei Lohnausgleich ermöglichen
- Flexible Altersteilzeitmodelle, die auch eine Teilzeitbeschäftigung über
die Ruhestandsgrenze hinaus ermöglichen
3. Lehrkräfte entlasten, zusätzliches Personal einstellen
Die Lehrkräfte an sächsischen Schulen sind einer hohen Arbeitsbelastung
ausgesetzt, weil sie weit mehr Aufgaben als nur Unterricht übernehmen. Sie sind
im Ganztag tätig und übernehmen schulorganisatorische Aufgaben, kümmern sich um
externe Kooperationen und müssen allzuoft sozialpädagogische und
schulpsychologische Herausforderungen schultern. Zugleich fehlt Personal für
zusätzliche pädagogische Angebote, insbesondere an Schulen in sozial
herausfordernden Lagen. Es fehlen die Voraussetzungen dafür, dass Schulen
flexibel reagieren können, damit zusätzliches Personal eingestellt werden kann
und qualifizierte Honorarkräfte stundenweise unterrichten können. Wir wollen
dafür sorgen, dass zusätzliche pädagogische Professionen an die Schule kommen
und sich Lehrkräfte auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Deshalb wollen
wir:
- ein sozialindexorientiertes Schulbudget für zusätzliches pädagogisches
Personal (Unterrichtsbegleiter und Honorarkräfte), schulorganisatorische
Unterstützung und Zusatzvergütungen an Lehrkräfte für besondere Leistungen
- nichtbesetzte Lehrerstellen in zusätzliche Personalbudgets umwandeln,
damit Schulen selbständig pädagogisches Personal einstellen können
- vorrangige Finanzierung von Honorarkräften oder Angestellten im Rahmen der
Ganztagsförderung
4. Pädagogische Freiräume erhöhen
Aufgrund des im Bundesländervergleich relativ hohen Stundenumfangs benötigt
Sachsen insbesondere am Gymnasium vergleichsweise viele Lehrkräfte. Im
Zusammenspiel mit den Detailvorgaben des Lehrplans haben die Schulen vor Ort
deshalb nur sehr geringe Spielräume, um auf den Ausfall von Lehrkräften zu
reagieren. Zugleich wird das Potential von außerunterrichtlichen Angeboten kaum
genutzt. Wir wollen durch folgende Maßnahmen die pädagogischen Freiräume
erhöhen:
- die Stundentafel auf bundesweit vergleichbare Standards und entsprechende
Anpassung der Lehrpläne reduzieren
- ein kompetenzorientiertes Kerncurriculum anstelle der Detailvorgaben von
Lehrplan und Stundentafel einführen
- eine stärkere pädagogische Koordination von Unterricht und
außerunterrichtlichen Angeboten, um den Erwerb von Wissen und Kompetenzen
z.B. in Ganztagsangeboten zu gewährleisten
5. Lehramtsausbildung unterstützen, Qualifikationen anerkennen
Die derzeitige Lehramtsausbildung ist insbesondere für Grundschul- und
Förderschul- und Oberschullehramt unattraktiv. Mit der Orientierung auf
Schularten ist die Ausbildung nicht flexibel genug, damit Absolventen für
unterschiedlichen Schularten vorbereitet werden. Zu viele Lehramtsstudierende
beenden ihr Studium nicht. Seiteneinsteiger werden nur unzureichend pädagogisch
ausgebildet. Darüber hinaus wird das Potential von Lehrkräften mit im Ausland
erworbenen Abschlüssen in grenznahen Regionen und von Geflüchteten kaum genutzt.
Wir wollen:
- eine an Schulstufen orientierten Lehramtsausbildung einführen
- zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen bei Beratung und Finanzierung von
Lehramtsstudierenden
- Seiteneinsteiger mit einer verbindlichen pädagogischen Qualifikation
unterstützen
- die erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Lehramtsabschlüssen
und Entwicklung eines Angebots von lehramtsspezifischen Deutschkursen
6. Schulen im ländlichen Raum unterstützen
Insbesondere die Schulen im ländlichen Raum haben es schwer, ausreichend
qualifizierte Lehrkräfte zu gewinnen. Dabei bieten die Regionen jenseits der
Großstädte vielfach gut ausgestattete Schulen, attraktive Wohnbedingungen und
ausreichend Kita-Plätze. Derzeit sind jedoch Schulträger und Schulen nicht in
der Lage, potentiellen Bewerbern maßgeschneiderte Angebote zu unterbreiten. Wir
wollen Schulen im ländlichen Raum mehr Möglichkeiten einräumen, um gezielt
Lehrkräfte zu werben. Die zentrale Einstellung von Lehrkräften über das
Landesamt für Schule und Bildung verringert die Attraktivität für Bewerber, weil
für sie nicht berechenbar ist, an welcher Schule sie letztlich unterrichten
werden. Auswahl und Einstellung des pädagogischen Personals soll vor Ort in
Verantwortung der Schule erfolgen, ohne dass dadurch einzelne Regionen oder
Schularten benachteiligt werden. Wir wollen:
- Einführung eines Lehrkräftepools, der eine faire Verteilung von Bewerbern
über Regionen und Schularten hinweg gewährleistet
- Schulscharfe Ausschreibung, Bewerbung und Einstellung von Lehrkräften im
Rahmen des Lehrkräftepools als Regelfall
- Fahrtkostenzuschläge und garantierte Frei-Tage für Lehrkräfte, die an
Schulen im ländlichen Raum pendeln
7. Spielräume vor Ort erhöhen – Bildungsverwaltung umbauen
Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Schulen flexibel mit
pädagogischen Spielräumen, Personal und Finanzen umgehen können. Im Gegenzug
wollen wir das Landesamt für Bildung und Schule (LaSuB) zu einem Dienstleister
mit Beratungs-, Unterstützungs- und Evaluierungsfunktion umbauen. Diese Aufgaben
können in der Regel von Personen ohne Lehramtsabschluss erbracht werden. Die
hohe Zahl abgeordneter Lehrkräfte im Landesamt soll Schritt für Schritt wieder
den Schulen zugute kommen. Wir wollen:
- die organisatorische Selbständigkeit von Schulen stärken und
Schulleitungen durch Verlagerung von Stellen des LaSuB an die Schulen
entlasten
- Schulleitungen durch Qualifizierung mit Zeitausgleich und höhere Vergütung
(E14 an allen Schularten) bei gleichzeitiger Einführung regelmäßiger
Zielvereinbarungen und Evaluationen unterstützen
- schrittweise abgeordnete Lehrkräften aus dem LaSuB in den Schuldienst
(ggf. in Teilzeit) rückversetzen
- ein Personal- und Rekrutierungskonzept für das LaSuB in den Bereichen
Beratung, Unterstützung und Evaluierung
Begründung
Obwohl das Problem seit vielen Jahren bekannt ist, hat die CDU-geführte Staatsregierung bis heute kein vollständiges und wirksames Konzept vorgelegt, wie der Lehrkräftemangel an sächsischen Schulen zu beheben ist. Der Antrag greift unsere bisherigen Forderungen auf und führt sie zu einem 7-Punkte-Plan zusammen. Wir sind überzeugt, dass nicht eine einzige Strategie wie die Verbeamtung, sondern nur ein Mix aus kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen und langfristig wirkenden Strategien erfolgreich sein wird, mit denen die Attraktivität des Lehrerberufs und der sächsischen Schulen insgesamt erhöht wird.