Veranstaltung: | 49. Landesversammlung in Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Freiheit und Sicherheit |
Antragsteller*in: | Valentin Lippmann (KV Dresden), Juliane Hundert (KV Dresden), Anne Kämmerer (KV Meißen), Jürgen Kasek (KV Leipzig), Hannes Merz (KV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 10.08.2018, 11:20 |
V4: Sicherheit gibt es nur in Freiheit – NEIN zu massenhafter Überwachung – NEIN zum neuen Polizeigesetz!
Antragstext
Die schwarz/rote Koalition in Sachsen plant eine so noch nie da gewesene
Verschärfung des sächsischen Polizeirechts. Mit umfassenden neuen Befugnissen
für die Polizei und immer größeren Eingriffsmöglichkeiten in die Grundrechte des
Einzelnen sucht Sachsen im Wettbewerb um das schärfste Polizeigesetz
Deutschlands den Anschluss zum bayrischen Polizeiaufgabengesetz.
Wird der Freistaat zum Polizeistaat?
Mit den Plänen für das neue Polizeirecht soll die Polizei umfassende neue
Befugnisse erhalten. Dazu gehört die Möglichkeit, künftig Telekommunikation, wie
Telefon und SMS, allein zu präventiven Zwecken zu überwachen. Das bedeutet, dass
dafür kein konkreter Verdacht einer Straftat vorliegen muss. Unter den gleichen
Voraussetzungen darf die Polizei auch Auskünfte über sog. Verkehrs- und
Nutzungsdaten einholen und damit auf elektronische Kommunikationsdienste, wie
Online-Banking, Facebook, Amazon usw. zugreifen. Die Bestandsdatenauskunft wird
auf Verträge mit Telemedienanbietern ausgeweitet. Zudem werden weitgehende
Befugnisse für die Polizei zur Erhebung von personenbezogenen Daten, ihrer
Speicherung und Weitergabe eröffnet. Dies schafft die Grundlagen für riesige
polizeiliche Datenbanken, in denen Informationen zu fast allen Bürger*innen
gesammelt werden können.
In einer Zone von 30 km um die sächsischen Außengrenzen darf zukünftig sog.
intelligente Videoüberwachung zur Anwendung kommen, also jene Form der
Videoüberwachung, die automatisiert Gesichter mit Datenbanken abgleichen kann
und die in der Lage ist, Bewegungsprofile von Personen zu erstellen. Diese
Möglichkeit gibt es für die Polizei daher künftig auf der Fläche von mehr als
einem Drittel des Freistaates. Sie kann somit beispielsweise in ganz Bautzen
oder auch großen Teilen Dresdens zum Einsatz kommen. Bei dieser sog.
intelligenten Videoüberwachung werden tausende von Personen ohne Anlass erfasst
und gerastert, so wie dies bei der automatisierten Kennzeichenerfassung bereits
seit Jahren der Fall ist. Auch diese soll nun ausgebaut und zum festen
Bestandteil sächsischer Polizeikontrolle werden, obwohl die bisherigen
Erfahrungen belegen, dass damit weder effektiv Straftaten verhindert noch in
einer vertretbaren Größenordnung gestohlene Fahrzeuge entdeckt werden. Dieser
geplante Ausbau der automatisierten und flächendeckenden Überwachung führt dazu,
dass zukünftig noch mehr Bürger*innen anlasslos gerastert werden.
Auch im Umgang mit sog. Gefährdern und deren Kontakt- und Begleitpersonen werden
der Polizei umfangreiche Befugnisse an die Hand gegeben. Dies ist vor allem
deshalb so problematisch, da die neuen Rechtsbegriffe sehr weit gefasst sind und
dadurch potenziell Jeder und Jede verdächtigt werden kann. Anders als die
Koalition und das Sächsische Innenministerium glauben machen wollen, geht es bei
den sog. Gefährdern nämlich nicht nur um Personen, die möglicherweise eine
terroristische Straftat vorbereiten könnten, sondern um alle Menschen, bei denen
gemutmaßt wird, dass sie in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen
könnten. Gegen Gefährder dürfen zukünftig weitreichende Aufenthalts- und
Kontaktverbote verhängt oder sogar das Tragen einer Fußfessel angeordnet werden.
Maßnahmen, wie zum Beispiel die Aufnahme in jene Datenbank, die durch die sog.
intelligente Videoüberwachung genutzt wird, sollen künftig nicht einmal dem
Richtervorbehalt unterliegen, obwohl hiervon auch Kontakt- und Begleitpersonen
der sog. Gefährder betroffen sein können.
Zu den großen Knackpunkten der Polizeirechtsnovelle gehört die massive
Verwässerung der Gefahrenbegriffe und Senkung der Eingriffsschwellen für bereits
bestehende Befugnisse. Damit kann die Polizei immer weiter im Vorfeld und
bereits dann mit teils massiven Grundrechtseingriffen tätig werden, wenn
überhaupt noch gar keine konkrete Gefährdungssituation vorliegt. So soll
zukünftig beispielsweise die „normale“ Videoüberwachung von Straßen und Plätzen
bereits beim Vorliegen einer abstrakten Gefahr – also faktisch immer –
eingesetzt werden können.
Nicht zuletzt geht mit dem neuen Polizeirecht eine weitere Militarisierung der
Polizei einher. Die Verwendung von Handgranaten und Maschinengewehren soll
künftig ebenso zulässig sein wie besondere Formen von Munition.
Während sich Staatsregierung und Koalition offenbar in der Einschränkung der
Grundrechte mehr als einig sind, hat man sich erneut bisher nicht zur dringend
notwendigen Einführung einer Kennzeichnung für Polizeibedienstete oder einer
unabhängigen Beschwerdestelle geeinigt, wie wir GRÜNE sie als zentrales Element
einer bürgernahen Polizei fordern. Diese Einseitigkeit zeigt einmal mehr, dass
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Sachsen gegen die drohende Erosion
verteidigt werden müssen.
Für einen Freistaat der diesen Namen verdient – NEIN zur Aushöhlung unserer
Grundrechte
Noch nie lebten die Menschen in Deutschland so sicher wie heute, gleichzeitig
waren die Bestrebungen, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden auszubauen und
die damit verbundenen massiven Eingriffe in die Grundrechte, selten so
erfolgreich. Nach jeder Straftat werden unter dem Vorwand der
Terrorismusbekämpfung die Bürger*innenrechte weiter eingeschränkt, ohne dass ein
Nachweis erbracht werden muss, dass dies notwendig sei – vielmehr wird zunehmend
nach dem Prinzip vorgegangen, alles technisch Machbare auch gesetzlich zu
ermöglichen. Die größte Gefahr für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind jedoch
nicht gewaltbereite Fanatiker*innen, sondern jene Politiker*innen, die unsere
Grundrechte immer weiter zum angeblichen Schutz vor Bedrohungen aushöhlen und
damit an den Grundpfeilern unseres freiheitlichen Rechtsstaates rütteln.
Über 25 Jahre nach der friedlichen Revolution scheint es zudem, als würden auch
all jene Erkenntnisse schamlos über Bord geworfen, die nach Jahrzehnten der
Diktatur Eingang in unsere Verfassungsordnung gefunden hatten. Auch aufgrund der
Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst legten die Mütter und Väter der
Sächsischen Verfassung eine strikte Trennung von Polizei und Geheimdienst fest.
So heißt es in Art. 83 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung: „Der Freistaat
unterhält keinen Geheimdienst mit polizeilichen Befugnissen.“ Mit der
Möglichkeit, die Telekommunikation bereits dann zu überwachen, wenn noch keine
konkrete polizeiliche Gefahr oder der Anfangsverdacht für eine Straftat
vorliegt, werden der Polizei nun aber nachrichtendienstliche Befugnisse
eingeräumt und so genau diese Trennung zunehmend aufgegeben. Aus der Tradition
der Bürger*innenrechtsbewegung und als die liberale Rechtsstaatspartei in
Sachsen ist es auch deshalb unsere Aufgabe, gegen den geplanten Frontalangriff
von CDU und SPD auf die Bürger*innenrechte zu kämpfen.
Statt unverhältnismäßiger Befugnisse für die Sicherheitsbehörden braucht es in
Sachsen mehr Polizei in der Fläche, eine bessere Revierstruktur und bessere
Präventionsarbeit zur Verhinderung von Radikalisierung. Wir GRÜNE haben hierzu
in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen unterbreitet.
Wir wollen keine Polizei, die massenhaft Menschen überwacht. Wir wollen uns frei
und ohne die ständige Angst bewegen, dass der Staat unser Telefon abhört, unsere
Autokennzeichen und Gesichter scannt oder uns überall anhalten und durchsuchen
darf. Wir wollen frei demonstrieren können und nicht von Panzerwagen und
Polizeibediensteten mit Maschinengewehren begleitet werden. Wir kämpfen für ein
Land, in dem wir ohne Überwachung und in größtmöglicher Freiheit leben können.
Die Pläne der schwarz/roten Koalition zur Ausweitung der Überwachung der
Bürger*innen laufen diesem Anspruch an eine freie Gesellschaft zuwider. Sie
zeigen, dass es starke GRÜNE und eine wachsame Zivilgesellschaft braucht, um
unsere Freiheit und die Errungenschaften des liberalen Rechtsstaates zu
verteidigen. Wir unterstützen sächsische und bundesweite Bündnisse, die sich
gegen die Aushöhlung unserer Grundrechte durch neue Polizei- und
Sicherheitsgesetze aussprechen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese
grundrechtsfeindlichen und Freiheit begrenzenden polizeilichen Befugnisse nicht
zur Anwendung kommen und bitten unsere Landtagsfraktion eine entsprechende
Normenkontrollklage gegen das Gesetz anzustreben.
Zustimmung
- Daniel Gerber
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