Veranstaltung: | 49. Landesversammlung in Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 10 Wahl der Delegierten für den Länderrat |
Antragsteller*in: | Horst Schiermeyer |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 28.08.2018, 16:36 |
BL1: Horst Schiermeyer
Selbstvorstellung
Liebe Freund*innen,
„wir haben die Erde von unseren Enkeln nur geborgt“ ist nicht ganz der originale Spruch aus der Anfangszeit der Grünen, passt für mich aber besser, weil die Kinder, die ich groß gezogen habe, inzwischen erwachsen sind und sich selbst kümmern können, nicht aber meine beiden rund 8 Jahre alten Enkel …
Ich habe gerade einen umfangreichen Bericht in der New York Times gelesen über das Jahrzehnt von 1979 bis 1989, als zum ersten Mal der menschengemachte Klimawandel auf die politische Agenda kam. Alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Treibhauseffekt lagen vor 40 Jahren schon vor, im Wesentlichen wurden sie danach nur noch nur verfeinert und vertieft. Was heute schon beginnt Realität zu werden, waren damals noch weitgehend Prognosen. Trotzdem gab es ein breites Erkennen bis in die Regierungen der damaligen Groß- und Mittelmächte und bis in die Ölindustrie hinein und eine Bereitschaft, gemeinsam etwas gegen den Ausstoß von CO² und anderen Treibhausgasen zu tun.
https://www.nytimes.com/interactive/2018/08/01/magazine/climate-change-losing-earth.html ("Die Dekade, in der wir fast den Klimawandel gestoppt hätten").
Es kam bekanntlich anders. Zwar gab es diverse neue Treffen und Abkommen, aber der CO²-Ausstoß nach 1989 war wohl höher als die Gesamtheit dessen, was zuvor seit dem Beginn der Industrialisierung in die Luft geblasen wurde.
Für mich als jungen Linken in der alten Bundesrepublik war die Erkenntnis von der Bedrohung der menschlichen Zivilisation durch die selbstgemachte Zerstörung der "Umwelt" Grund, mich seit Anfang 1980 bei den Grünen zu engagieren. Später geriet mein Engagement in diesem Bereich etwas in den Hintergrund angesichts anderer aktueller Themen wie der deutschen Wiedervereinigung, verschiedener Kriege, einer unsozialen Wirtschafts- und Sozialpolitik etc. Seit 2005 widme ich mich aber wieder verstärkt dem Klimaschutz und dabei besonders dem Bereich Energiepolitik. Ich bin seitdem in der BAG Energie aktiv, habe die LAG Energie wieder mit gegründet und auf vielen Bundesdelegiertenkonferenzen und Länderratssitzungen (dem gehörte ich mehrere Jahre als sächsischer Ersatz-Basisdelegierter an) Anträge und Änderungsanträge gestellt, um die Energiewende nicht nur in Deutschland sondern auch in Europa und der Welt voranzutreiben.
Ein Antrag von mir aus dem Jahre 2008 ist mir jetzt wieder in die Hände gefallen. Eigentlich ist er nach wie vor brennend aktuell und könnte - abgesehen von der Jahreszahl - so noch mal gestellt werden. Ich hänge ihn zur Information über meine Denkweise hier einfach mal an.
Ganz so jung bin ich ja jetzt nicht mehr, aber ab nächstem Juni habe ich dafür ganz viel Zeit, mich verstärkt der grünen Politik und dem Kampf für den Klimaschutz zu widmen. Dies würde ich auch gerne wieder auf der Ebene des Länderrats tun und bitte dazu um eure Unterstützung.
Ansonsten habe ich im letzten November nach dem Scheitern der "Jamaika"-Gespräche auf der BDK den Antrag gestellt, auch eine schwarz-grüne Minderheitsregierung auszuloten, gerade um den Kohleausstieg voranzubringen. Persönlich lieber wären mir linke Koalitionen, aber wir haben ja kein "Wünsch-dir-was" ...
Es grüßt euch
Horst Schiermeyer, Zittau
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Antrag an die BDK in Erfurt vom 14. – 16.11.2008
Die BDK möge folgende Erklärung beschließen:
100 % Strom aus Erneuerbaren Energien: Ein Ziel für 2020
Der Klimabericht des IPCC von Ende 2006 benennt ein Zeitfenster von 10 bis 15 Jahren für eine Trendumkehr der globalen Emissionen, also noch bis 2016 oder maximal 2021. Die Industrieländer tragen die Hauptverantwortung für den Klimawandel. Unser Wohlstand beruht auf 200 Jahren intensiver Kohlenstoffnutzung. Pro Kopf stoßen wir auch heute noch sehr viel mehr aus als die übergroße Mehrheit der Bevölkerung im „Rest der Welt“. Deshalb müssen die Industrieländer mit dem Abbau des CO-2-Ausstoßes sehr viel konsequenter vorgehen als dies bisher vorgesehen ist. Dies ist notwendig in allen Bereichen: Verkehr, Heizung, Industrie, Landwirtschaft, Handel, aber bei Stromerzeugung und -verbrauch am Schnellsten möglich.
In den USA fordert Al Gore mit seinem Vorschlag „Repower America“ eine emissionsfreie Stromversorgung innerhalb von 10 Jahren, weil „ein politisches Versprechen, etwas in 40 Jahren zu schaffen, allgemein ignoriert wird, da es bekannterweise bedeutungslos ist. 10 Jahre ist in etwa der maximale Zeitraum, über den wir als Nation ein Ziel verfolgen und auch erreichen können.“ (http://www.sfv.de/artikel/2008/A_Genera.htm )
Wenn der politische Wille da ist bei den staatlichen und wirtschaftlichen Kräften, ist sowohl in Nordamerika als auch in der EU in der Stromproduktion ein weitgehender Ausstieg aus dem fossil-atomaren Irrweg binnen kurzer Frist möglich.
Wind und Sonne stehen in großem Maß zur Verfügung, auch bei Wasserkraft, Geothermie und Biogas gibt es Reserven (auch ohne umwelt- und sozialschädlichen Anbau von Agrotreibstoffen), in vielen Bereichen kann Energie eingespart werden. Unzählige Hausdächer können für die häusliche Versorgung mit Solarstrom genutzt werden.
Mit einer großräumigen Vernetzung der so dezentral zur Verfügung stehenden Energien von Nordafrika bis Skandinavien, vom Atlantik bis Russland, ist unter Einbeziehung von Wasser- und anderen Speichern eine 100-%-ige Stromversorgung in Europa und Nachbargebieten möglich, bei der das unterschiedliche Angebot von Wind und Sonne und die unterschiedliche Nachfrage nach Strom ausgeglichen wird. Das Gleiche gilt für die anderen Regionen der Welt.
Die Technologie dafür steht schon weitgehend zur Verfügung und wird sich bei Massenproduktion weiter verbessern und verbilligen: Windkraftanlagen, Solarthermie, Photovoltaik, Wasserkraft, Biogasanlagen sind Stand der Technik, Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) für die verlustarme Fernübertragung von Strom und Maßnahmen zum sparsamen und effizienten Energieverbrauch auch. Intelligent kombiniert werden die Kosten für den so produzierten Strom auf Dauer nicht höher sein als für fossilen Strom, bei weiter steigenden Preisen für Öl, Gas, Kohle und Uran auch niedriger.
Die Erneuerbaren Energien sind trotz ihres rasanten Anstiegs noch ein Randthema in Politik und Wirtschaft. Ihr Ausbau und ihre Vernetzung gehören aber in das Zentrum der Politik, sie müssen auch zur Aufgabe der Großunternehmen werden. Die Kraftanstrengung, die notwendig ist, vergleicht Al Gore mit der für den Marshallplan nach dem 2. Weltkrieg, den Investitionen im Rahmen des „New Deals“ in den 30er-Jahren in den USA und dem Apollo-Projekt des Fluges zum Mond.
Auch in Deutschland und in Europa gab es vergleichbare Anstrengungen: Der „Aufbau Ost“ in den 90er Jahren, die Integration der östlichen EU-Beitrittsländer, verbunden mit riesigen und schnellen öffentlichen und privaten Investitionen. Größer als diese „Transformation“ ganzer Volkswirtschaften, aufwendiger als die Bekämpfung der Finanzmarktkrise ist der Umstieg auf Erneuerbare Energien auch nicht. Wichtig ist, dass Europa und die europäische Industrie hier vorangehen, dass der Klimawandel genauso entschlossen angegangen wird wie die Finanzmarktkrise. Wenn dies geschieht, kommt ein Ausstieg aus dem fossil-atomaren Irrweg in der Stromproduktion bis 2020 in den Bereich des Denkbaren.
Wir – Bündnis 90 / Die Grünen – werden uns mit allen unseren Kräften dafür einsetzen.
Begründung:
Eine weitgehende Umstellung der Stromerzeugung in den USA innerhalb von 10 Jahren, wie dies Al Gore fordert, und in Europa bis 2020 ist ein sehr ambitioniertes Ziel. In den bisherigen Kategorien unseres Denkens erscheint es nicht als realistisch. Doch ist die Bedrohung durch den Klimawandel eine außergewöhnliche Situation – und deshalb werden auch die Lösungen außergewöhnlich sein müssen.
Wir haben auf unserem Parteitag in Köln 2006 einen „radikalen Realismus“ in der Ökologiepolitik gefordert. Lester Brown, ein “Altmeister” der amerikanischen Umweltpolitik, Gründer und langjähriger Präsident des Worldwatch Institute, stellt dazu in einem Interview treffend fest zur Frage, was realistisch ist:
„Es gibt eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von klimapolitischem Realismus. Der eine nimmt die politische Durchsetzbarkeit als Faktum und zieht daraus die Konsequenzen, welchen Klimawandel wir fatalistischerweise akzeptieren müssen. Der andere nimmt die um fast jeden Preis zu verhindernden Konsequenzen katastrophalen Klimawandels als Faktum, und fragt nach den Möglichkeiten, die notwendige Wende politisch durchsetzbar zu machen.
Wenn wir katastrophalen Klimawandel wie das Abschmelzen des Grönland-Eisschilds oder der Gletscher des Himalayas verhindern wollen, dann tut sich erst einmal eine gewaltige Lücke auf zwischen dem, was aktuell für machbar und politisch durchsetzbar gehalten wird und dem, was notwendig ist. Eine Lücke, die schon manchen in die Resignation getrieben hat – die bequeme Ausrede, es sei ja sowieso nichts mehr zu machen.“
Lester Brown gibt sich damit nicht zufrieden, und erinnert an die USA während des 2. Weltkriegs, nach Pearl Harbour. Präsident Roosevelt rief die Chefs der US-Automobilkonzerne zu sich, die damals die größte Konzentration industrieller Kapazität repräsentierten. Vor die Herausforderung der gewaltigen Steigerung der Rüstungsproduktion gestellt, erwähnten diese, wie schwierig es sei, zusätzlich zu Automobilen auch noch Panzer, Flugzeuge und Kanonen zu bauen. Roosevelt antwortete: „Sie verstehen mich falsch: Wir werden den Verkauf privater Automobile in den USA verbieten.“ Und von April 1942 bis Ende 1944 wurden in den USA keine Autos verkauft. Roosevelts Rüstungsproduktionsziele, die als reichlich utopisch galten, wurden sogar übertroffen.
Wir werden uns entscheiden müssen, welchem Realismus wir anhängen wollen. Eine fatalistische Definition von politischem Realismus wird bald zur Schlussfolgerung führen: Das Ziel, den globalen Klimawandel auf unter 2 Grad globaler Erwärmung gegenüber dem vorindustriellem Niveau zu begrenzen, sei „realistischerweise“ nicht mehr zu halten.
Doch wenn wir die Frage andersherum stellen, dann werden wir um so etwas wie das, was in den USA diskutiert wird als „War time economy“, bald nicht mehr herumkommen. Dann wird es, auch dank der bisher recht erfolgreichen Verzögerungsstrategie von Klimaskeptikern, von Exxon bis RWE & Co., um den Einsatz sehr viel durchgreifenderer Maßnahmen gehen. US-Klimaforscher James Hansen spricht dann hinsichtlich der Kohlekraftwerke von „cap and bulldoze“ anstelle von „cap and trade“ (abreißen statt Emissionshandel).
In Zeiten großer Friedensbedrohung durch Militär wird wie nach Pearl Harbour ein Großteil der Industrie von Zivil- auf Kriegsproduktion umgestellt, werden notwendige Infrastrukturen aus dem Boden gestampft. Was passiert dagegen in Zeiten großer Friedensbedrohung durch den Klimawandel? Einige mittelständische Unternehmen, denen es zu verdanken ist, dass es überhaupt die Entwicklung von Wind- und Solarenergie gibt, haben große Wachstumsraten. Hier und da werden Stromnetze verstärkt, Bauvorschriften verschärft und ähnliches mehr. Aber was macht die „Crème de la crème“ der europäischen und der weltweiten Industrie? „Business as usual“, baut Autos, Maschinen, Flugzeuge, Waffen, als wäre nichts geschehen.
Was jetzt notwendig wäre ist eine politische Strategie, wie unsere Wirtschaft durchgreifend auf die Bedrohung durch den Klimawandel umgestellt werden soll. Die gewaltigen Industriepotentiale der entwickelten Länder gilt es zu nutzen, um die Energieversorgung weltweit auf Erneuerbare Energien umzustellen. Heute ist die „Rooseveltsche Methode“ des Zwangs noch nicht notwendig, denn die Industrie ist wesentlich leistungsfähiger und es bleiben im Unterschied zu 1942 nicht nur zweieinhalb Jahre Zeit zum Handeln.
Ein Treffen von Nobelpreisträgern hat vor einem Jahr in Potsdam eine „Große Transformation“ gefordert (http://www.nobel-cause.de/potsdam-2007/potsdam-memorandum-2007 ). Die „New Deal-“ und die „Marshallplan“-Politik der USA, „Wirtschaftswunder“ und „Aufbau Ost“ in Deutschland zeigen trotz all ihrer Mängel, dass eine solche Transformation auch unter zivilen und demokratischen Bedingungen möglich ist.
Dafür, dass eine umfassende Umstellung auf Erneuerbare Energien möglich ist, gibt es zahlreiche Nachweise, z.B.:
die Arbeiten der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag
https://www.gruene-bundestag.de/index.php?id=127753 ,
von Hermann Scheer: „Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien“ und die Neuausgabe von "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" des Wuppertal Institut https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/384/ zeigen Möglichkeiten der Umstellung auf 100 % Erneuerbare Energien auf;
Gregor Czisch weist mit seinen Studien nach, dass mit einer großräumigen Vernetzung dezentraler Erneuerbarer Energien diese Umstellung auch zu verträglichen Kosten erfolgen kann
https://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/handle/urn:nbn:de:hebis:34-200604119596
https://transnational-renewables.org/Gregor_Czisch/Ueber_mich.html ;
wie dies auf europäischer Ebene funktionieren kann, zeigt das von Michaele Schreyer u.a. erstellte Konzept für eine „Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien“ (ERENE)
http://gruenes-klima.de/co2/erene-studie-zur-europaischen-energie-und-klimapolitik ;
ein besseres europäisches Stromnetz wird auch gefordert vom Potsdam Institut für Klimaforschung: http://www.supersmartgrid.net/;
Alle diese Konzepte gehen bisher davon aus, dass es längerer Zeiträume bedarf für eine Umstellung. Betrachtet man die Schwerfälligkeit der Staaten und der EU und die politischen Widerstände gegen eine Umstellung, ist eine solche Betrachtung „realistisch“. So geht Czisch in seinem Szenario von einer Umsetzung innerhalb von 20 Jahren aus - unter „normalen“ Bedingungen. Aber die Bedingungen sind nicht normal und wenn der Klimawandel genauso entschlossen angegangen wird wie Finanzmarktkrise, „New Deal“ und „Aufbau Ost“, ist die Umsetzung dieser Konzepte nach Auffassung von Czisch u.a. zweifellos sehr viel schneller möglich. In den USA setzt sich Al Gore mit der Forderung „Repower America“ an die Spitze der politischen Bewegung. In Deutschland und Europa sollten wir Grünen dies tun mit der Forderung „100 % Strom aus Erneuerbaren Energien bis 2020“.
(der Antrag wurde übrigens nicht angenommen, dafür aber der Antrag von Hans-Josef Fell u.a., der eine Umstellung auf 100 % Strom aus EE bis 2030 forderte).